Das Wunder vom Rheintal
Was bisher geschah:
Die Europäische Union erließ am 23. Oktober 2000 eine europäische Richtlinie, welche den rechtlichen Rahmen für die Wasser–Politik der Europäischen Union (EU) vereinheitlichen soll und bezweckt, deren entsprechende Politik stärker auf eine nachhaltige und umweltverträgliche Wassernutzung auszurichten. Im Laufe des Jahres 2006 wurden im Rheintal Veranstaltungen durchgeführt, die das Ziel hatten, Maßnahmenräume einzuführen und möglichst viele Landwirte „mitzunehmen“ und zu überzeugen, diese Maßnahmen auch umzusetzen oder als Leitbetriebe mit Dauerbeobachtungsflächen mitzuarbeiten. Unter Mitwirkung der Wasserverbände und des Regionalbauernverbandes Starkenburg wurden zunächst 4 Maßnahmenräume ausgewiesen (Nördliches und südliches Ried, Riedsande und Bergstraße). Es wurden Grunddaten erhoben, Grundwassermessstellen bestimmt, Landnutzungsdaten erhoben, mit Daten der Bodenschätzung abgeglichen, die Nitratauswaschungsgefährdung bestimmt und vieles mehr.
Absicht war durch starke Ausdehnung der N-min-Probenanzahl und der Probenahmezeitpunkte einen Überblick zu bekommen über Höhe der Düngung, Verbrauch der Kultur und eventuelle Verlustraten. Es sollte die Stickstoffdüngung auf das erforderliche Maß (Entzugsdüngung) zurückgeführt werden und Verringerung von Stickstoffverlusten erreicht werden. Dies verbunden mit Beratungsrundschreiben, Informationsveranstaltungen und Feldrundgängen. Zahlreiche Versuche mit Zwischenfrüchten wurden angelegt zur Bindung des Reststickstoffs zu Vegetationsende. Als Dienstleistung wurden kolorimetrische Blattuntersuchungen angeboten, um den Stickstoffversorgungsgrad der Pflanzen während der Hauptwachstumsphase einzusehen.
Parallel dazu fand im Januar 2017 ein Gespräch zwischen RBV Starkenburg und Dr. Born, Geschäftsführer der SPACENUS GmbH (entwickeln Satelliten- und KI-gestützte Tools für die Landwirtschaft) in DA-Eberstadt statt. Ziel von Dr. Born war es, satellitenbasierte digitalisierte Karten, welche mit verschiedenen optischen Sensoren aufgenommen wurden, an den gemessenen Werten betreffender landwirtschaftlicher Flächen aus Starkenburg abzugleichen und zu eichen. Eine daraus entwickelte App („SOLORROW“) erhielt 2019 den Hessischen Gründerpreis und dient zur teilflächenspezifischen Präzisionsdüngung. Das Gegenstück dazu („STENON“: Brandenburger Innovationspreis 2020) eine laborunabhängige Bodenanalyse in Echtzeit, soll Versorgungswerte aller relevanten Nährstoffe per „Spatenstich“ liefern und mit SOLORROW abgeglichen werden. Es handelt sich hier um einen „Sensorspaten“, welcher mit Ionenselektiven-Feldeffekttransistor-Sensoren ausgerüstet ist. Wenige Sekunden nach „Einstich“ desselben können alle relevanten Messwerte abgelesen werden. Gleichzeitig werden diese mit zugehöriger Geoposition versehen in der Cloud abgespeichert. Alle diese Vorleistungen fanden keine Berücksichtigung bei der Ausweisung roter Gebiete!
Die Bundesregierung meldet an die EU
Deutschland hat mehr 11.000 Grundwassermessstellen, aber nur die Analysewerte der auffälligsten 700 Messstellen nach Brüssel gemeldet. Deshalb liegen wir bei der Nitratbelastung des Grundwassers auf dem vorletzten Platz vor Malta. Hätte das Bundesumweltministerium den Nitratgehalt sämtlicher Brunnen gemeldet, so wie alle anderen EU-Länder auch, würde Deutschland im oberen Mittelfeld rangieren und die EU hätte nicht Klage gegen Deutschland erhoben.
Weil die Bundesregierung auf die Brüsseler Forderungen nicht in dem gewünschten Umfang reagierte, wurde ein Vertragsverletzungsverfahren initiiert, das hohe Strafzahlungen vorsah, für den Fall, dass nicht binnen weniger Monate ein Vorschlag in Form einer neuen Düngeverordnung vorgelegt werde. Eine 20% ige Reduktion des Stickstoffdüngereinsatzes gemessen am pflanzlichen Bedarf wurde nie von der EU gefordert. Das haben wir der Bundesregierung zu verdanken! Auf Ertrags- und Qualitätsdepressionen bis hin zur Nichtvermarktbarkeit der Produkte soll hier nicht eingegangen werden, ebenso wenig auf die Probleme der Tierhalter, denen jetzt 20% der Fläche zur Unterbringung der Gülle fehlen. Ebenso unverständlich ist es für Frühgebiete wie das hessische Ried, dass eine Winterbegrünung der Flächen vorzunehmen ist, auf die im Frühjahr Sommerungen angebaut werden sollen und die frühestens am 15. Januar umgebrochen werden dürfen. Gerade aber Kulturen wie Frühgemüse, Kartoffeln, Zwiebeln, ZR brauchen einen frostgaren Boden, der hierfür noch vor Winter gepflügt werden und möglichst früh befahrbar sein muss.
Eine unendliche Geschichte
Die Ausweisung des Riedes als für Nitratausträge potentiell gefährdetes Gebiet (leichte Böden, Intensivkulturen, Beregnungseinsatz) geschah schon um das Jahr 2.000. Seitdem versucht der Regionalbauernverband darzulegen und zu beweisen, dass ein gewässerschonender Anbau auch von Intensivkulturen möglich ist. Mit colorimetrischen (Nitracheck) und reflekrometrischen, (Merck RQflex 20) Methoden wurden seit 2010 von uns hunderte von Wasserproben aus Beregnungsbrunnen gemessen, die erstens verbreitet sehr niedrige Werte aufwiesen waren und zweitens im Tagesverlauf schwankten (siehe Tab.1)
Da unsere Eigenmessungen offiziell nicht anerkannt werden, orientieren sich die Landesbehörden (hier: HLNUG) an den vorhandenen Messbrunnen mehrerer Netze. Wir haben die Messbrunnen nicht alle anerkannt, da sie oft inmitten von Gemeinden (Viernehim), im Abstrom von Gemeinden (Trebur) oder Altdeponien (Lampertheim) liegen.
Referenzjahr dieser Werte soll 2013 sein. Aber sowohl im nördlichen Ried bei Trebur als auch im südlichen Ried bei Lampertheim sind die Werte mittlerweile auf 21 bzw. 35 mg gefallen und entlasten uns vom Vorwurf der Grundwasserbelastung (siehe Abb. 2 und 3)
Eine Rückfrage beim Ministerium ergab die Antwort, dass nicht nur die Messwerte der Referenzbrunnen, sondern auch die Einschätzung des Thünen-Instituts, dass wir ein Risikogebiet bezüglich des Nitrataustrags sind, zur Einteilung in rote Gebiete beiträgt. Das Thünen Institut schätzt uns auf > 60 kg Stickstoff-Verlustrate/ha. Unsere Entgegnung, dass fast jeder Betrieb in Starkenburg zertifiziert ist und eine Düngebilanz vorlegen kann, warum denn die exakten Zahlen nicht ermittelt wurden, erzielte nur Achselzucken. So hätte man diejenigen, deren Verlustrate > 60 kg ist, mit Auflagen belegen können und diejenigen, welche es richtig gemacht, haben von einer Kollektivbestrafung bewahren!
Es wurde von Seiten des HLNUG (Dr. Berthold) immer behauptet, dass die niedrigen Nitratwerte in den Grundwässern des hessischen Riedes durch das hohe Denitrifikationpotential der Böden bedingt sei. Die sogenannte Nitratatmung, bei der Bakterien den Sauerstoff des Nitrats zur Energiegewinnung nutzen, oxidiert Pyrit zu Eisensulfat. Dabei wird Nitrat abgebaut. Hierbei würde aber auch der Pyrit verschwinden. Da unsere Grundwasserstände sehr oft schwanken, so unsere Feststellung, würde Pyrit sich in der Reduktionszone regenerieren. Außerdem wurde von wenigen Jahren ein weiterer Weg des Nitratabbaus entdeckt, bei dem kein Pyrit im Spiel ist, der sogenannte „Anammox-Prozess“. Chemisch stellt das eine Komproportionierung dar, das heißt in Anwesenheit von Ammonium und Nitrat komproportionieren beide Oxidationsstufen zu elementarem Stickstoff! Ein großer „gratis“ Sicherheitsmechanismus in unseren Böden!
Abschließend ist noch zu sagen, dass alle Trinkwasserentnahmestellen in den Riedwäldern im Zustrom (östlich) der Produktionsfelder liegen. Selbst bei partiellen Überschreitungen (die wir natürlich vermeiden wollen) wäre nie die Trinkwasserversorgung in irgendeiner Weise gefährdet.
Das ist die Zusammenstellung unserer Argumente und deshalb lehnen wir die unserer Ansicht nach unbegründete Kollektivbestrafung „rote Gebiete“ und die daraus resultierenden Strafmaßnahmen entschieden ab und werden unser Recht juristisch einfordern!
08.01.2021 Dr. Willi Billau